Unter einem Himmel

 Ein Mann kam zu uns ins Camp. Ein Mann aus Gaza. 

Und er hat uns erzählt, in einer so ruhigen Stimme, von seiner Familie.

Von Gaza. 

Von all den Menschen, die er verloren hat. Von seinen Brüdern, seinen Tanten und seinen Eltern und Großeltern. Wie über die Jahre alle verbrannten und er floh. 


Wie er floh, über welche Länder und welche Grenzen. 

In einer Stimme so ruhig wie der Frieden, den er nie kannte. 


Er sagte, die Kämpfer von Heute sind die Kinder von Gestern.

Die Kinder, die alles verloren hatten. Eltern, Freunde, Körperteile.


Dann hat er sich entschuldigt. 

Dafür, dass er die Stimmung ruiniert hat. 


Denn wir, Menschen von hier, Menschen, deren Stimmen nichts kennen außer den Frieden, hatten keine Worte. 


Wir saßen in der kühlen Nachtluft auf derselben Decke unter demselben Himmel in unterschiedlichen Welten. 


Unterschiedliche Welten auf einer Decke unter einem Himmel.  


Ich wünsche mir, dass jeder mit uns auf der Decke hätte sitzen können, dass jeder seine Geschichte vom Krieg hätte hören können. In der Stimme so ruhig wie der Frieden.


Und ich frage mich, ob es etwas ändern würde, wenn nicht einmal die Bilder von Gestern Nacht etwas ändern könnten. 

Die Bilder von gestern und vorgestern und vom Tag davor. 

Die Bilder und Geschichten der letzten 76 Jahre scheinen jeden Tag in neuen Grausamkeiten zu gipfeln. 


Ich werde sie übersetzen, diese Geschichte, die Geschichten der Menschen,die noch erzählen können. Die noch nicht aufgegeben haben zu erzählen. 


Wir werden nicht vergessen und nicht vergessen lassen. 


Wir werden übersetzen und erzählen und wir werden zuhören und immer wieder schweigen. 

Weil wir keine Worte haben. 

Weil unsere Stimme nie so ruhig bleiben könnte wie deine. 

Weil ich nicht weinen möchte, und weinen möchte um die Menschen, die ich nicht kannte und nie kennen werde.

Ob ihre Stimmen auch so ruhig klangen wie deine?


Die Menschen in Gaza leben anders mit dem Tod. 

In Gaza hat das Sterben mehr als nur eine Bedeutung. 


Worte fließen, werden übersetzt in eine Sprache, die wir verstehen. Unter einem Himmel. 

Wir verstehen Worte und verstehen die Realität dahinter nicht. 


Du siehst im Tod, was ich in deiner Stimme höre. Frieden und Gerechtigkeit. 


Du sagst, du glaubst noch an Gerechtigkeit. Wer sie im Leben nicht findet, den findet sie im Tod und ich frage mich, an wen du denkst. 


Und ich wünsche mir, dass du nicht aufhören wirst zu sprechen. Sie nicht aufhört zu übersetzen. Nicht aufhört Fäden zu spinnen zwischen deiner Realität und meiner. Dass die Nacht nie endet.


Dass deine Stimme, die nach Frieden klingt, Gerechtigkeit mit sich bringt. 


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