Der Zauberer

 Hallo, ich bin Excel.

Ja Excel. Wie die Microsoft Anwendung.

Mein Nachname ist Müller und ich bin ein Zauberer.

Dass ich Excel Müller heiße wissen allerdings die wenigsten, denn meistens nenne ich mich Jack. Einfach nur Jack. Kein Nachname. Nur ein Bühnenname.

Für die Kinder auf den Geburtstagen, die den Großteil meiner Gigs ausmachen, reicht das. Die brauchen keinen Nachnamen, meistens können sie sich nicht mal meinen Vornamen merken, aber das ist okay, ich kann mir ihre Namen auch nie merken.

Es reicht aus, dass sich ihre Eltern an meinen Namen erinnern und nachdem sie ein bisschen darüber gelacht haben mich an ihre Freunde weiterempfehlen. 

Damit ich mich ein weiteres Mal auf einen Sonntag Vormittag vorbereiten kann an dem ich bunte Tücher aus Hüten ziehe, in leere Kindergesichter grinse und mittelalte Mütter versuchen mit mir zu flirten. 

Wenn ich für jedes Mal, dass ich mir den Satz "du hast mich genauso verzaubert wie die Kinder" anhören muss einen Euro bekommen würde, müsste ich mir den Satz nicht mehr anhören, dann würde ich nämlich nicht mehr zaubern, sondern würde auf einer einsamen Insel im Pazifik mein Dasein genießen. Einen Fußball mit aufgemaltem Gesicht würde ich tatsächlich den meisten meiner Gesprächspartner vorziehen. 

Spaß beiseite, ich weiß nicht was ich dann machen würde, aber Nicht. Zaubern. 

Vielleicht würde ich meine Treibgut Donnerstag nennen, der Originalität wegen.


Da dieses Phänomen bis jetzt jedoch noch nicht eingetreten ist sitze ich im Bus in die Vorstadt. An einem Sonntag um Zehn Uhr. 

Pünktlich. Nur 5 Minuten zu spät stehe ich vor einem perfekt gestriegelten Reihenhaus mit niedrigere Hecke und dunkelgrünen Fensterläden. Auf der Türklingel steht Müller, na sowas. 

Die Frau, die mir in Begleitung eines kläffenden Staubwedels die Tür öffnet schätze ich auf Mitte 30 und trägt ein geblümtes Sommerkleid. Rote Mohn-, und himmelblaue Kornblumen. Sie ist hübsch, mit warmen braunen Augen und kleinen Lachfalten die sich um ihre Augen ziehen als sie sich mir als Klaudia vorstellt. 

Mit einem Fuß versucht sie die Bestie, die sie Schröder nennt, zurück zu halten als sie mich hinein bittet.


Zum Glück, denn ich bin ein Vampir, ohne Erlaubnis wäre ich sonst in Flammen aufgegangen. Würde ich mir wahrscheinlich denken, wenn ich ein Vampir wäre, oder sagen, wenn mir ein Kind die Tür aufgemacht hätte.  Mein Leben ist jedoch kein Stephanie Mayer Roman und so brenne nicht ich, sondern nur die Sonne auf meinen schwarz gefärbten Haaren. 


In diesem Szenario halte ich für gewöhnlich den Mund, lächle freundlich und schüttle die vorgestreckte Hand. Um der Sympathiepunkte wegen sage ich manchmal noch etwas in Richtung der Handtaschenratte. „Der ist aber niedlich.“ sage ich heute. Der Hund hört auf zu kläffen und starrt mich aus kleinen Augen an.  


Die Sonne scheint auf mein schwarzes Hemd, auf meine schwarze Jeans, meine schwarz gefärbten Haare und bei 30 Grad im Schatten bereue ich ein weiteres Mal alle Lebensentscheidungen die mich an diesen Punkt geführt haben.


Immerhin wirkt Klaudia nett, vielleicht würde ich bei ihr sogar auf den Phänomens-Euro verzichten wenn sie versuchen würde mit mir zu flirten. Sie führt mich in den Garten in dem schon eine provisorische Bühne aufgebaut ist um und auf der einen Haufen kleiner Kinder herum rennen. 

So viel Lebensfreude. Mein zynisches Alterego fröstelt. 


Ich stelle meine große schwarze Ledertasche neben der Bühne ins Gras und lasse eine Maus unauffällig in meinen Ärmel krabbeln.

Die Maus heißt Access, wie die Microsoft Anwendung, aber die meisten nennen sie Maus, wie das Tier. 


Genauso unauffällig wie Access stopfe ich mir nun auch noch allerhand Tücher, Karten und ein paar unechte Geldscheine unter die Hemdärmel. So unsicher wie ich über meine Streichholzarme auch sein mag, sie haben den Vorteil, dass in meinen Hemden scheinbar endlos Platz für Zauberutensilien ist. 


Eine kleine Hand stupst mich an der Schulter als ich im Gras kniend mein Kartenspiel mische. 

"Bist du der Zauberer?" Fragt das Kind, keine Ahnung wie alt, es geht mir vielleicht bis zur Hüfte. Die runden Augen blinzeln verwundert "Du siehst gar nicht aus wie ein Zauberer" piepst es und legt den Kopf schief. Ich auch. Was meint die Göre, ich sehe nicht aus wie ein Zauberer!?


"Ich verrate dir ein Geheimnis okay?" Flüstere ich und ein geheimnisvolles Lächeln umspielt meine Lippen. Das Kind macht noch größere Augen und ich hoffe inständig, dass mein erster Zaubertrick nicht das heraus kullern von Augen beinhaltet. Ich lehne mich ein ganz kleines Stück vor, spüre kleinen Mäusepfoten auf meinem Unterarm die in Richtung Hand klettern. 

"Ich kann gar nicht zaubern" Access Näschen lugt unter meinem Hemdsärmel hervor und als der ganze Kopf zum Vorschein kommt sage ich theatralisch:

"Die Maus hat die magischen Kräfte, ich bin nur der Assistent. Das bleibt aber unter uns, ja?"

Ich zwinkere dem Kind zu, dessen plumpe Hand sich dem kleinen Mäusekopf nähert.

Der bringt sich zum Glück vor dem grobmotorischen Grabscher in Sicherheit und ich schüttle stattdessen seine Hand. 

Wunderbar. 


Klaudia taucht hinter dem Jungen auf und fragt mich ob wir anfangen wollen. Sie strahlt mich an, die Sonne im Rücken.

Ich bejahe und sehe verwundert zu wie schnell sie die Kindergestalten zusammenpfeift die daraufhin vor der Bühne im Gras Platz nehmen. So viele kleine Gesichter, nicht so viele große Gesichter. Die kleinen Gesichter erwartungsvoll, die großen eher skeptisch. 


Die kleinen, die noch an Magie glauben und die großen, die wissen, dass ich trixe, nicht zaubern kann und insgeheim alle dahinter kommen möchten in welchem Moment ich Karten tausche, oder aus welchem Kleidungsstück die Münzen kommen die plötzlich hinter Ohren auftauchen. Sie warten auf Fehler meinerseits, die sie in ihrer geistigen Überlegenheit bestätigen. 

Zum Glück geht es Heute nicht um sie. 


Also wende ich mich den Kindern zu und beginne mich vorzustellen, als Jack natürlich.

Der Zauberer Jack, aus dem fernen Norden. Von den besten ausgebildet und mit übernatürlichen Fähigkeiten gesegnet.


Ich frage, ob jemand mir zur Hand gehen kann, bei meinem magischen Handwerk, wähle das Kind, ein Mädchen, dass wenigster klebrig aussieht und lasse sie meinen Zylinder halten. 

Ihr pausbäckiges Gesicht strahlt erwartungsvoll und ein kleines bisschen, nur ein Hauch der kindlichen Euphorie überträgt sich auch auf meine Stimmung.

Der Plan ist Access aus dem Hut zu ziehen. Tauben sind mir auf Dauer zu teuer, die fliegen immer weg. 


Sie bestätigt mir stolz, dass der Hut leer sei und ich lasse Access unauffällig hinein gleiten als ich vorgebe noch einmal nachzusehen ob sie auch die Wahrheit sagt. Brav stellt sie den Hut samt Maus auf den Boden und ich vollführe mit ihrer Unterstützung einen einfachen Kartentrick. 


Während dem Kartentrick sollte Access eigentlich aus dem Hut krabbeln, jedenfalls tut er das für gewöhnlich, ganz zur Freude der Kinder. Heute nicht, also bitte ich ein anderes Kind mit wuscheligen braunen Haaren noch einmal nachzusehen ob der Hut auch wirklich leer sei. 

Der kleine Bastard schaut nicht einfach in den Hut, wie ich es erwartet hatte, er nimmt den Hut, dreht die Öffnung nach unten und schüttelt ihn kräftig. Nichts passiert, kein Access. 

Komisch. vielleicht ist er irgendwie entwischt. Ich ziehe dem Jungen stattdessen ein Geldstück hinter dem Ohr hervor, dass mir etwas schwerer erscheint als ich es in Erinnerung hatte, aber ich kann mich täuschen, heute ist ein komischer Tag. 


Als ich meinen Hut wieder aufsetzen will sehe ich, dass er alles andere als leer ist. Anstatt der kleinen Maus ziehe ich eine weiße Katze aus dem Hut. 

Eine große weiße Katze. Wie die da rein gekommen ist kann ich mir nicht erklären und ich versuche eine selbstbewusste Miene aufzusetzen als ich sie dem Publikum präsentiere.

Der Familienköter eskaliert lautstark bei ihrem Anblick, aber die Katze wirkt ungerührt.

"Hallo, ich bin Word" sagt die Katze. "wie die Microsoft Anwendung". Die Erwachsenen lachen und ich lasse sie erschrocken fallen. 


Offenbar kann ich jetzt auch Bauchreden, ohne es zu wissen, oder Access hat sich in eine sprechende Katze namens Word verwandelt, aber das wäre ja… unplanmäßig. Absolut unplanmäßig. Ich lache nervös und hebe die Katze wieder auf. 

"Tada" macht die Katze. Das Publikum klatscht. Ich bin verwirrt. 

Zögernd setze ich die Katze zurück in den Hut und bitte sie freundlich dahin zu gehen woher sie gekommen ist. Wo auch immer das sein mag.  Sie bleibt im Hut sitzen und sagt Nein. Ich kratze mir den Kopf. 

"Das kommt davon wenn man versucht mit Katzen zusammen zu arbeiten" verkünde ich. Das Publikum lacht. Die Katze setzt sich neben mich auf den Boden. Okay. 


Ich hoffe nur Access taucht wieder auf. Ich will die Katze nachher fragen ob sie ihn gegessen hat. 

Aber vorher muss ich noch arbeiten, also rufe ich Klaudia auf die Bühne, beginne einen erneuten Kartentrick, aber bevor ich Klaudia ihre eigene Karte wieder ziehen lassen kann verpfeift mich die Katze. Arschloch. Das Publikum lacht mich aus. 

Um mein Versagen wieder gut zu machen will ich die Plastikblume aus dem Ärmel ziehen die in meinem übergroßen Hemdärmel auf ihren Einsatz wartet, aber als ich beim kunstvollen gestikulieren einen Stiel zu fassen bekomme und daran ziehe wird aus dem Plastikblümchen ein Rosenstrauß. Mit echten, großen, roten Rosen. Und egal wie dünn meine Arme sind, der hätte definitiv nicht in mein Hemd gepasst gepasst. Ich hoffe, dass mein Gesicht nicht genauso überrascht aussieht wie Klaudias als ich ihr den Strauß überreiche und mich vor dem Publikum verbeuge. Alle Klatschen. Alle außer ein großer, blonder Mann den ich für Klaudias Gatten halte.


Die Katze hat sich mittlerweile auf einem Kinder Schoß niedergelassen und so kann ich ungestört noch ein paar Tricks durchführen, die relativ reibungslos über die Bühne gehen, bis auf den einen Bengel der felsenfest davon überzeugt ist die Herzkönigin hätte ihm zugezwinkert. 

Als ich die Vorstellung nach der vereinbarten Stunde beende zittern meine Knie. Die Katze ist immer noch da und murmelt irgendwas von anspruchslosem Publikum und unfähigem Zauberer Gesindel. 


Der beste Teil meines Jobs ist der Geburtstagskuchen, von dem ich fast immer ein Stück abbekomme, aber heute schmeckt er irgendwie fahl. Auch wenn es sich zum Glück nicht um eine dieser glutenfreien, zuckerfreien, veganen Abominationen von Kuchen handelt die manche Übermütter ihren Schratzen und leider auch mir vorsetzen. 

Ich wüsste gerne wie ein Programm, dass ich seit zwei Jahren aufführe so schiefgehen kann. Woher kommt die verdammte Katze?? 

Und wo ist meine Maus?? 

"Du bist ein Zauberer Excel" höre ich die Katze noch schnurren. Dann wird mir schwarz vor Augen.


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